Die Kunst des Weglassens

Diesem beinahe rauschhaften Entstehen von Gemälden steht das kühle und klare Konzept von Minimal Art gegenüber. Überlegt und in Ruhe wird das Werk durch ständiges Wegnehmen gleichsam herausgeschält aus einem Mantel von Zufälligkeiten, Belanglosigkeiten und Beiwerk. Dieser Überlegung mussten Bildhauer schon seit jeher folgen, daher äußert sich Minimal Art auch vorzugsweise in Skulpturen und anderen dreidimensionalen Objekten. Aber es gibt natürlich auch Gemälde, wie etwa „Die Fahne hoch“ von Frank Stella unter folgendem Link. Von Sol LeWitt stammt das Bild unter folgendem Link. Besonders diese Komplexe Form mit schwarzen und weißen Streifen zeigt deutlich, dass es bei Minimal Art nicht um weitgehend leere Flächen geht. Da das Bild eine komplexe Form darstellt, kann man auch die Komplexität der Form selbst nicht preisgeben. Statt dessen wird diese Komplexität mit reduzierten Mitteln dargestellt. Die schwarzen und weißen Streifen geben den einzelnen Formelementen ihre Ausrichtung und Lage. Dadurch wird die Komplexität auch noch hervorgehoben. Trotzdem wirkt das Bild aufgeräumt.

Minimalismus in der Fotografie

Für die Fotografie bedeutete diese Erkenntnis, dass nicht eine dominierende leere Fläche ein minimalistisches Bild hervorbringt, sondern dass das Thema mit so wenigen und so einfachen Mitteln wie möglich umgesetzt wird. Oftmals wird das zweite das erste bedingen, aber dennoch scheint es mir wichtig, festzustellen, worum es eigentlich geht. Einer Idee, einem Konzept zu folgen, scheint mir immer befriedigender zu sein, als bloß einer formalen Vorgabe zu genügen, der die Grundlegung im gedanklichen Konzept fehlt. Ich übersehe dabei keineswegs, dass das Spannungsverhältnis zwischen einer leeren Fläche und einem einzelnen, kleinen Objekt darin durchaus bestechen kann. Doch eine solche Bildkomposition wird ja nicht ausgeschlossen, sondern nur auf eine konzeptuelle Basis gestellt.
Ich bin auf dieses Thema gestoßen durch die Lektüre von Minimalistische Fotografie, Kunst und Praxis von Denis Dubesset. Der Autor ist Fotograf und Kunsthistoriker und daher durch beide Professionen berufen, dieses Thema abzuhandeln. Mich hat das Buch ziemlich gepackt, obwohl ich dem Autor in manchen Dingen auch gerne widersprochen hätte. Doch dieser lässt dem Leser ohnehin die Freiheit, die Dinge auch für sich selbst anders zu interpretieren und macht aus der Subjektivität seiner Sicht keinen Hehl. Weite Teile des Buchs sind leider besetzt mit allgemeinen Fotografie-Themen: Kameratypen, Ausrüstung, Gestaltungsregeln, die Abhängigkeiten zwischen Blende, Belichtungszeit und Empfindlichkeit und dergleichen. Es scheint, als wollte der Autor auch einen blutigen Anfänger direkt hinführen zur minimalistischen Fotografie. Ansonsten, meine ich, könnte man diese Basics wohl voraussetzen. Doch auch wenn man diese Abschnitte ausklammert, bleibt die Lektüre ein Gewinn, meiner Ansicht vor allem deshalb, weil sie zum Nachdenken über das Thema anregt. Im Folgenden werde ich mich, wie auch bisher, immer wieder an diesem Buch orientieren, aber dennoch versuchen, meine eigene Sicht in die Darstellung hineinzumischen. Es wäre sicher spannend, Dubessets Bildbeispiele hier vorzustellen, aber aus Copyright-Gründen geht das nicht. Schon deshalb bin ich gezwungen, hauptsächlich auf einige meiner eigenen Bilder zurückzugreifen und zu hoffen, dass auch diese, wenn auch schlecht und recht, das Thema illustrieren können.

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