Der distanzierte Blick

Gedanken zur Arbeitsweise

Dass den Bildern formal nichts anzuhängen ist, macht die Kritik schwierig. Ich muss mich damit auf meinen subjektiven Eindruck zurückziehen – und jede andere Sichtweise ebenso akzeptieren. Aber das ist ohnehin klar.
Der Zyklus ist entstanden zum Ende der Siebzigerjahre und in der ersten Hälfte der Achtzigerjahre. Vor der USA-Reise hätte Seiland die Arbeit amerikanischer Fotografen wie Joel Meyerowitz, Stephen Shore und William Eggleston studiert und fotografisch darauf reagiert. Die Genannten gelten als Pioniere der „New Color Photography“, weil sie die Farbfotografie von einem Makel befreit haben. Sie galt – bis in die Siebzigerjahre – als lautes und billiges Medium für Werbung und andere merkantile Zwecke. Bei Künstlern war sie verpönt.
Anders als für die amerikanischen Fotografen kommt für den Österreicher Seiland das Neue und Exotische der Szenerie hinzu. Das wäre ja eine interessante Ausgangssituation, aber sie sollte, so meine ich, auch in den Bildern sichtbar werden. Das lässt sich jedoch für mich nicht erkennen. Der Fotograf scheint nichts Persönliches in das Bild einzubringen. Ich räume gerne ein, dass dieser Eindruck zum Teil auch der Arbeitsweise geschuldet sein kann. Aber es fällt mir schwer, zu akzeptieren, dass sich das Fehlen jeder persönlichen Interpretation der Szene mit der Arbeitsweise zu begründen sei. Es sollte doch eher die Abbildungsabsicht die Arbeitsweise bestimmen.
Indes bin ich überzeugt, dass der Fotograf seine Arbeitsweise ganz bewusst gewählt hat, und zwar genau mit Hinblick darauf, was er darstellen und wie er es darstellen will. Das betrifft nicht nur den USA-Zyklus, sondern fast alle Bilder dieser Retrospektive. Doch was ist es?
Sorgfältig aufeinander abgestimmte Farben, verschiedene Lichtquellen und durchgehende Schärfe zeichnen seine Bilder aus, die mehrere Raumebenen aufweisen. Alle Aufnahmen vermitteln Ruhe und etwas Melancholie, bleiben dabei jedoch sachlich. Menschen sind auf den Bildern kaum zu sehen.
So ist es in den Salzburger Nachrichten vom 12. Juni 2018 zu lesen: Mit den „verschiedenen Lichtquellen“ dürfte gemeint sein, dass der Fotograf als Beleuchtung das Sonnenlicht, egal, ob verhangen oder nicht, herangezogen hat, aber in der Dämmerung oder bei Nacht auch vorhandene Kunstlichtquellen genutzt hat. Es gibt keinen Hinweis darauf, dass Seiland zusätzlich Blitz oder künstliches Dauerlicht verwendet hätte. Damit fällt Seilands Arbeit unter die Available Light-Fotografie. Von fast jeder Art von Fotografie, wenn es sich nicht um Studiofotografie handelt oder Einzelfälle, wo auch im Freien mit Zusatzlicht gearbeitet wird, lässt sich dasselbe sagen. Natürlich muss der Fotograf auch die gegebenen Lichtverhältnisse in die Gestaltung mit einbeziehen – oder auch auf die passenden Lichtverhältnisse warten. Das tun auch engagierte Amateure, die gar nicht erwarten, dass dieses Vorgehen ihre Bilder auszeichne.
Vor langer Zeit, als es Autofokus noch nicht gab, dafür aber eine doppelte Blendenskala auf jedem Objektiv, konnte der, der keine Spiegelreflexkamera hatte, anhand dieser doppelten Blendenskala die Schärfentiefe bestimmen. Eine gängige Praxis war es, jene Blende zu wählen, mit welcher die Schärfentiefe etwa von zwei Meter bis Unendlich reichte. Solange man kein Objekt ins Bild bekam, welches näher als zwei Meter entfernt war, war von vorne bis hinten alles scharf. Dieses Vorgehen, welches einst nur vom Sicherheitsdenken bestimmt war, gelangt hier offenbar als Gestaltungsmittel zu einer auszeichnenden Qualität.
Aus meiner Sicht sind diese Hinweise auf die Arbeitsweise trivial. Sie eignen sich eher dazu, den Besucher der Ausstellung zu verwirren, als ihm als gestaltende Faktoren plausibel zu werden. Das sei deshalb erwähnt, weil auch die begleitenden Wandtexte in der Ausstellung unter anderem diese Hinweise bringen.

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