Der distanzierte Blick

Statt „verschiedene Lichtquellen“ könnte etwa der Begriff „sorgsam ausgesuchte Lichtverhältnisse“ eher helfen, dem Wesen von Alfred Seilands Fotografie näherzukommen. Fast immer vermeidet er direktes Sonnenlicht. Das führt auch zu einer leicht gedämpften Farbgebung, statt zu „sorgfältig aufeinander abgestimmten Farben“. Durchgehende Schärfe erreicht man durch eine kleine Blendenöffnung. Um dennoch richtig zu belichten, muss die Belichtungszeit verlängert werden. Langzeitbelichtungen sind kein Problem, wenn man – wie Alfred Seiland – mit einer Großbildkamera arbeitet, die schon alleine durch ihre Größe und ihr Gewicht den Einsatz eines Stativs erfordert. Langzeitbelichtung bringt aber auch gewisse Auffälligkeiten ins Bild – nämlich dann, wenn im Bild auch bewegte Objekte zu sehen (bzw. auch nicht zu sehen) sind. Je nach Länge der Belichtungszeit erscheinen diese verwischt oder sie verschwinden ganz. Belichtet man etwa minutenlang, so wird man einen Menschen, der nur für einige Sekunden durchs Bild läuft, überhaupt nicht sehen. Das könnte mit ein Grund sein, dass auf Seilands Bildern kaum Menschen zu sehen sind. Zusammen mit den gedeckten Farben und dem gestreuten schattenarmen Licht entsteht eine melancholische Grundstimmung, die nicht alle, tatsächlich aber viele von Seilands Bildern beherrscht.
Letztlich ist es also eher die Vermittlung über die begleitenden Texte, die Verwirrung stiftet, die eher beschreibt, auf welche Weise die gezeigten Bilder entstehen und kaum warum sie (gerade so und nicht anders) entstehen. Dem Fotografen ist es nicht anzulasten, dass er auf die beschriebene Weise fotografiert. Sicher hat er seine Gründe dafür – und die interessieren den Besucher wohl nur am Rande. Was den Besucher interessiert ist, welche Emotionen die Bilder in ihm auszulösen imstande sind. Für mich strahlt ein Großteil der Bilder in erster Linie Tristesse aus. Das betrifft den USA-Zyklus ebenso wie den später entstandenen Zyklus „Österreich“, der ganz bewusst auf jene Motive verzichtet, die landläufig als Sehenswürdigkeit eingestuft werden und statt dessen triviale Alltagsszenen zeigt. Doch die Motivwahl ist sicher nicht der Grund für die Leidenschaftslosigkeit, welche die Bilder beherrscht.

Kluge Köpfe

Ganz anders wirken die Bilder einer Anzeigenkampagne der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, für die Alfred Seiland als Fotograf gewonnen werden konnte. Unter dem Motto „Dahinter steckt immer ein kluger Kopf“ wird jeweils eine bekannte Persönlichkeit gezeigt, jedoch meist winzig klein und unkenntlich, weil das Gesicht und meist auch der Oberkörper hinter einer geöffneten Zeitung verschwindet. Die Umgebung, in welche die Persönlichkeit versetzt wird, bezieht sich zwar auf deren öffentliches Leben, wirkt aber meist bizarr als Ort, um dort gemütlich Zeitung zu lesen. Helmuth Kohl sitzt am Bug eines Schiffes in rauher See, welches bezeichnenderweise blau gestrichen ist und den Namen „Europa“ trägt. Reinhold Messner liest Zeitung auf einem winzigen Vorsprung in einer riesigen, senkrechten Felswand und Nadja Auermann lässt sich im Zoo fotografieren bei den Tieren, die noch längere Beine haben als sie selbst – bei den Giraffen. Mehr Beispiele zeigt der folgende Link zum Adforum. Die Kampagne besticht vor allem durch ihr Konzept und natürlich auch durch die Assoziationen, welche die Bilder auslösen. Natürlich ist auch alles nahezu perfekt fotografiert. Wie weit der Fotograf jedoch eingebunden war in die gestalterische Umsetzung, ist (mir) nicht bekannt.

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