Krieg und Kunstgeschichte

Ikonisch für den Vietnamkrieg steht eine Fotografie des vietnamesisch-amerikanischen Fotografen Nick Út: Terror of War, ein Bild, welches wohl jeder kennt. Es zeigt eine Gruppe Kinder aus dem Dorf Trảng Bàng, die vor einem Napalm-Angriff der südvietnamesischen Luftwaffe im Juni 1972 flieht. Im Zentrum des Bildes sieht man ein nacktes Mädchen. Es hat sich die vom Napalm brennenden Kleider vom Leib gerissen und dennoch großflächige Brandwunden davongetragen. Nick Út brachte das Mädchen sofort mit seinem Wagen in ein Krankenhaus, was ihr vermutlich das Leben gerettet hat. Das Bild ging durch die Weltpresse und brachte dem Fotografen später neben vielen anderen Ehrungen auch den Pulitzer-Preis ein.
Wie und wodurch wirkt das Bild? Zunächst hat es eine historische Wirkung erzielt. Obwohl die Amerikaner an dem Napalm-Angriff überhaupt nicht beteiligt waren, bewirkte das Bild in der amerikanischen Öffentlichkeit einen Widerstand gegen den Vietnamkrieg, beziehungsweise in das US-amerikanische Engagement in diesen, der Gesellschaftskreise erfasste, die weit über die Protestbewegung hinausgingen. Es war, als ob dieses Bild einem großen Teil der US-Amerikaner die Augen für die grausame Realität des Krieges geöffnet habe – und schließlich den Abzug der amerikanischen Truppen aus Vietnam beschleunigt habe. Richard Nixon bewarb sich zur Zeit der Veröffentlichung dieses Bildes um eine zweite Amtszeit als Präsident der Vereinigten Staaten. Mehrfach wurde Nixon von seinen Gegnern mit Nick Úts Bild konfrontiert als Nachweis für die Auswirkungen der militärischen Einmischung der Amerikaner in fernen Weltteilen. Nixon soll das Bild in einer Verteidigungsreaktion als Fälschung bezeichnet haben.
Die umfassende Wirkung des Bildes beruht jedoch auf der Wirkung auf den Einzelnen, die für viele Menschen ähnlich und ähnlich intensiv gewesen sein muss. Ich selbst habe das Bild schon Dutzende Male gesehen, aber ich erinnere mich, was meine spontane Reaktion beim ersten Mal war: „Schrecklich!“ Von der Ursache des Schreckens ist bei nüchterner Betrachtung jedoch nichts zu sehen. Dieser vermittelt sich dem Betrachter nur durch den Gesichtsausdruck der Kinder – und durch die Tatsache, dass ein Kind splitternackt über eine Landstraße läuft. Das lässt auf außergewöhnliche, lebensbedrohende Umstände schließen, die möglicherweise mit dem dichten Rauch im Hintergrund zusammenhängen. Dass diese Umstände kriegerischer Natur seien, ließe sich schließen aus der Präsenz von Soldaten. Was das Bild dadurch – zwar nur indirekt – deutlich macht, ist, dass die wahren Opfer des Krieges die Unschuldigen sind, die Zivilisten – und hier besonders die Kinder.
Erstaunlich dabei ist, dass es gerade dieses Bild war, welches Millionen Menschen so stark bewegt hatte, dass es die angesprochene Wirkung hervorrufen konnte; erstaunlich deshalb, weil täglich in allen amerikanischen Zeitungen Bilder von Kriegsereignissen in Vietnam publiziert wurden, insgesamt Tausende oder Zehntausende. Aber keines davon konnte eine derart umfassende Wirkung erzielen.

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