Ecce Homo

Magnum Photos und die Aufklärung

1947 wurde in Paris die Fotoagentur Magnum Photos gegründet. Das Besondere an dieser Agentur war, dass sie als Kooperative geführt wurde, was bedeutet, dass die Mitglieder, fast ausschließlich Reportagefotografen, gleichzeitig (Teil-)Eigentümer waren und auch die gesamte Vertriebs- und Organisationslast selbst trugen. Der Zweck dieser Kooperative war es, die Rechtssituation der Fotografen gegenüber den Abnehmern ihrer Bilder zu verbessern. Magnum Photos konnte es durchsetzen, dass ihre Mitglieder die Nutzungsrechte an ihren Bildern behielten, auch wenn sie in einem Magazin veröffentlicht wurden, der Fotograf konnte selbst bestimmen, ob die Bilder beschnitten werden durften oder in der Größe verändert und der Name des Fotografen (und der Agentur) musste bei der Veröffentlichung genannt werden. Noch vor dem zweiten Weltkrieg waren Bildreporter entweder Redaktionsangestellte von Magazinen. Als solche hatten sie ihre belichteten Filme abzuliefern – und hatten keine weiteren Rechte daran. Oder sie waren freie Fotografen. Dann wurden ihnen die Negative abgekauft – und sie hatten keine Kontrolle darüber, ob und in welcher Form ihre Bilder veröffentlicht wurden.
Die Gründungsmitglieder von Magnum Photos hatten – jeder auf seine Weise – Kriegserfahrungen gemacht. Am intensivsten hatten wohl Robert Capa und Henri Cartier-Bresson, die als Kriegs-Bildberichterstatter gearbeitet hatten, den Krieg erlebt. Daraus erwuchs die Hoffnung, dass solche Erlebnisse von nun an nur mehr der Vergangenheit angehören mögen. Dass diese Hoffnung sich erfülle, wurden auch die Mitglieder auf den „humanistischen“ Zugang eingeschworen. Respekt und Verantwortungsgefühl des Fotografen gegenüber den Menschen sollte Bilder entstehen lassen, die auf den Betrachter einen erzieherischen Einfluss hätten. Je weiter dieser Einfluss sich verbreiten würde, desto eher würde eine Verbesserung der Lebensbedingungen aller Menschen möglich. Von den Medien allerdings, speziell von den Printmedien, wurden zu dieser Zeit vor allem auflagensteigernde Berichte von Sensationsereignissen, von Katastrophen und Skandalen gefordert. Das Alltagsleben von Nobodys traf kaum auf Leserinteresse. Vor diesem Hintergrund ist der erhoffte erzieherische Einfluss zu sehen. Dabei wurde nicht auf die Erregung von Mitleid gesetzt, sondern auf sachliche, aber dennoch verstehende und mitfühlende Aufklärung. Die Welt soll nicht dadurch verbessert werden, dass der bessergestellte Teil der Menschheit durch Mitleid dazu bewogen wird, an den schlechtergestellten Teil Almosen zu verteilen, sondern die Bessergestellten sollten erkennen, dass die Welt für alle besser würde, wenn auch für alle ein menschenwürdiges und armutsfreies Leben möglich wäre. Der Appell richtet sich also an den Verstand, nicht an das Gemüt.

Aufklärung ist der Ausgang des Menschen aus seiner selbst verschuldeten Unmündigkeit. Unmündigkeit ist das Unvermögen, sich seines Verstandes ohne Leitung eines anderen zu bedienen. Selbstverschuldet ist diese Unmündigkeit, wenn die Ursache derselben nicht am Mangel des Verstandes, sondern der Entschließung und des Muthes liegt, sich seiner ohne Leitung eines andern zu bedienen. Sapere aude! Habe Muth dich deines eigenen Verstandes zu bedienen! ist also der Wahlspruch der Aufklärung.

Immanuel Kant

Es wird also vor allem versucht, die Ziele der Aufklärung umzusetzen. Magnum Photos hatte Erfolg – wirtschaftlichen zunächst, aber auch ideellen. Es gelang, ein journalistisches Genre, „Human Interest“ auch in Sensationsmedien zu platzieren. Es lässt sich allerdings kaum feststellen, ob Magnum Photos an dieser Maßnahme aktiv beteiligt war. Der Zustand unserer Welt heute lässt auch nicht darauf schließen, dass eine grundlegende Verbesserung eingetreten wäre. Aber es mag ideelle Teilerfolge gegeben haben.

Bruce Davidson und das Fotoessay

Bruce Davidson: Photography Master1958 wurde Bruce Davidson Mitglied von Magnum Photos. Er stammt aus einer Familie mit polnisch-jüdischen Wurzeln in einer Vorstadt von Chicago. Schon in seiner Schulzeit hatte er zu fotografieren begonnen und bekam dafür auch eine Auszeichnung an der High School. Später studierte er an der Universität von Yale Philosophie, Malerei und Fotografie. Nach kurzer Zeit in Yale wurde er jedoch zum Militärdienst einberufen und nach Europa versetzt zum Oberkommando der Allierten Kräfte in Europa nahe Paris. Bei der Armee war er mit der Herausgabe einer internen Zeitschrift betraut und übernahm auch kleinere fotografische Aufgaben. Aber ihm wurde auch genug Freiraum eingeräumt, um seine fotografischen Studien weiter zu betreiben.
In dieser Zeit entstand Widow of Montmartre, ein Fotoessay über die Witwe von Leon Fauché, einem unbekannten impressionistischen Maler. Die hochbetagte Dame lebte in einer Pariser Mansardenwohnung zusammen mit den Bildern ihres verstorbenen Gatten und den Erinnerungen an früher, an eine Zeit, in der sie Künstler wie Henri Toulouse-Lautrec, Paul Gaugin und Auguste Renoir kennengelernt hatte. Davidson hat sie über Monate begleitet und in ihrem Alltagsleben fotografiert. In vielen Bildern taucht die Dame bloß als unscheinbare Randfigur auf in einer Großstadt, deren Aktivitäten achtlos an ihr vorbeirauschen.
Das Essay wurde 1958 im Magazin Esquire veröffentlicht. Über diese Veröffentlichung wurde Henri Cartier-Bresson auf den jungen Fotografen aufmerksam, er traf sich mit ihm und holte ihn schließlich zu Magnum Photos.

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