Die Kunst des Weglassens

Analogien herzustellen zu verschiedenen Kunststilen ist sicher ein interessantes, aber auch gefährliches Unterfangen. Die Gefahr dabei ist, sich in Formalismen zu verfangen. Ich habe schon erwähnt, dass Minimal Art als Gegenbewegung zum abstrakten Expressionismus entstanden ist. Dieser wieder wurzelt unter anderem in Emotionen und Stimmungen, die entstanden sind unmittelbar oder mittelbar aus Kriegserfahrungen. So entsteht jeder Kunststil aus seiner Zeit heraus und reagiert auf deren kulturellen und gesellschaftlichen Gegebenheiten. Diese waren Ende der Fünzigerjahre des vergangenen Jahrhunderts anders als heute. Doch Fotografie gab es schon und sie war auch technisch in einem Maße ausgereift, dass sie auch damals einen künstlerischen Beitrag zur Minimal Art hätte liefern können. Das ist jedoch nicht geschehen oder zumindest nicht ins Bewusstsein der Öffentlichkeit gedrungen. Fotografie wurde allgemein noch nicht als Kunstform angesehen und die Fotografen waren mit anderen Aufgaben beschäftigt. Zu diesen zählte es nicht, am Kunstschaffen der Zeit teilzuhaben. Doch dieses Versäumnis lässt sich sechzig Jahre später nicht nachholen. Der Versuch würde scheitern an der fehlenden Bindung an soziale und kulturelle Gegebenheiten. Er gliche letztlich dem Nachäffen gemalter historischer Vorbilder.
Werke jeder Kunstströmung haben, wenn sie wirklich Kunst sind, auch Aspekte, welche über ihre Zeit hinausreichen. Sich an solchen Aspekten zu orientieren, kann zu keiner Zeit ein Fehler sein. Die Zeitlosigkeit der Vereinfachung spricht auch Dubesset in seinem Buch an. Und er gibt dazu zwei Zitate, die ich hier wiederholen möchte. Constantin Brâncusi etwa sagt:

Einfachheit ist kein Ziel, sondern eine unumgängliche Annäherung an den wahren Sinn der Dinge.

Das zweite Zitat stammt von Leonardo da Vinci und damit ist wohl kein Zweifel mehr gelassen an der Zeitlosigkeit:

Einfachheit ist die höchste Stufe der Vollendung.

Auch in der Fotografie zieht sich seit ihren Anfängen das Streben nach einfacher, klarer Darstellung durch ihre Geschichte. Das widerspricht nur scheinbar dem, was eben über Minimal Art als Kunstströmung gesagt wurde. Dieser immer wiederkehrende Trend in der Fotografie ist losgelöst zu betrachten von der Entstehung von Minimal Art in der (damals anerkannten) bildenden Kunst. Es ist auch kein Zeitstil, sondern der Versuch eines Lösungswegs, der von verschiedenen Fotografen immer wieder begangen wurde und wird, um Bestimmtes zu erreichen, nämlich einen möglichst klaren und einfachen Bildaufbau, um damit, wenn wir Brâncusi Glauben schenken, den „wahren Sinn der Dinge“ sichtbar zu machen.
Dubesset zählt eine ganze Reihe von Fotografen auf, die ganz oder teilweise minimalistisch fotografieren. Ich kenne zum großen Teil wenig bis gar nichts aus deren Schaffen, daher sehe ich keinen Sinn darin, deren Liste der hier einfach reflexionslos wiederzugeben.

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